Neuigkeiten aus den Projekten

"Ah, ihr macht wieder die Spielstraße!" - Die Soldiner Nachbarschaft erlebt, wie sich ein Ort verändern kann

| News - Aus den Projekten

"Das Ziel der Spielstraßen war eigentlich, trojanisch über nachhaltige Mobilität zu sprechen oder diese als Thema in den Vordergrund zu bringen. Deswegen war die Idee, spaßhaft auf die Straßen zu gehen und zu testen, wie die Straßen anders benutzt werden könnten, als dass sie nur durch Autos besetzt werden."

Das Projekt „Alles Rollt“ hat einen erfolgreichen Sommer mit sechs durchgeführten temporären Spielstraßen im Soldiner Kiez hinter sich. Die Straßen haben sich für einen Tag in einen Freiraum für die Nachbarschaft verwandelt und so lebendigen Austausch und eine Vielzahl von Aktivitäten für Groß und Klein ermöglicht. Organisiert und durchgeführt wurde das Projekt von Ines und Markus von der Stiftung FREIZEIT. Die beiden haben Erfahrung mit Interventionen und partizipativen Prozessen im öffentlichen Raum, die Spielstraßen waren jedoch auch für sie Neuland. Im Interview geben sie uns einen kleinen Einblick in ihre Arbeit, offene Fragen und Pläne für das kommende Jahr.

Erzählt gerne erst einmal, aus welchem Grund ihr die temporären Spielstraßen organisiert. Was ist eigentlich das Ziel der Spielstraßen?

Ines: Das Ziel der Spielstraßen war eigentlich, trojanisch über nachhaltige Mobilität zu sprechen oder diese als Thema in den Vordergrund zu bringen. Deswegen war die Idee, spaßhaft auf die Straßen zu gehen und zu testen, wie die Straßen anders benutzt werden könnten, als dass sie nur durch Autos besetzt werden. Also eine Alternative anbieten, und so auch mit einem starken Fokus auf die Temporalität die Tür zu anderen Möglichkeiten auf der Straße öffnen. Denn wenn man nicht weiß, was sonst passieren könnte, kann man ja auch nicht schlecht finden, was da passiert.

Markus: Wir haben den Begriff Spielstraße auch stark bezogen auf eine Nachbarschaftsstraße. Viele Anwohnende und Nachbarn hatten immer so ein fokussiertes Bild, wenn sie Spielstraße hören. In den Gesprächen ging es uns sehr stark um die Vermittlung, dass eine Spielstraße nicht auf eine Gruppe Kinder begrenzt ist, sondern eine Möglichkeit für die Nachbarschaft bietet, sich dort zu treffen, auszutauschen und sich plötzlich an einem anderen Ort zu begegnen, der sich kurzfristig in etwas Anderes verwandelt hat. Das ist für uns auch eines der Ziele gewesen.

Wie haben Anwohnende auf die Spielstraßen reagiert? Welche Erfahrungen habt ihr mit Nachbar*innen gemacht?

I: Am Anfang haben sich anscheinend Nachbar*innen beschwert, dass sie nicht so viel mitbekommen haben. Da fehlte vielleicht auch noch ein bisschen das Netzwerk. Langsam haben wir die Strategie verändert und in jeden Briefkasten Postkarten eingeworfen, dann kann es niemand verpassen.

Wo man sehr oft ins Gespräch kommt, ist mit Nachbarn, die ihre Autos in der Straße parken. Bevor die Spielstraße da ist, ist sie nur ein Hindernis für die Autos. Normalerweise kriegt man im Voraus nicht so positive Rückmeldungen, weil die Leute das noch nie gesehen haben und sich nur um ihr Auto kümmern. Aber wenn man da ist, dann finden es alle sehr schön. In diesem Kiez ist es gut, dass wir dieses Projekt machen, denn eine Idee, wofür die Straßen da sein können - außer für Autos - ist nicht so präsent. Autos sind hier im Kiez sehr wichtig.

M: Bei den ersten zwei Spielstraßen in Kooperation mit den Schulen lief es so: Die Spielstraße begann um 14 Uhr und um 14 Uhr war die Spielstraße voll. Und wenn da die Nachbarn ihre Köpfe aus dem Fenster gesteckt haben und gesehen haben, dass die Spielstraße sich tatsächlich füllt, hat es natürlich immer eine sichtbare Nutzung gespiegelt.

Wir haben auch gemerkt, dass es ganz schwer ist, die Spielstraße als Nachbarschaftsstraße zu vermitteln. Aber es hat schon auch kleine Kooperationen mit den Nachbarn gegeben. Die Biesentaler Straße war die einzige Straße, wo wir tatsächlich auf der Suche waren: Wer gibt uns Strom? Wo kriegst du Wasser her? Wo kriegst du noch einen extra Stuhl? Einer hat uns da plötzlich die Tür aufgemacht und Strom zur Verfügung gestellt. Und dann kam noch ein Nachbar und meinte: „Wenn ihr was braucht, ich habe eine große Werkstatt hinten“.

I: Was man merkt ist tatsächlich, die Netzwerke gehen dann auf, wenn man vor Ort ist und Sachen macht. Man erreicht die Leute beim Machen und beim Dasein.

Was ist eure Erfahrung mit den Spielstraßen bisher? Was waren schöne Momente, was waren oder sind Herausforderungen?

M: Die schönen Momente, die ich immer mitnehme, sind: Diese Kinder haben so viel Spaß diese Straße mit Spielen zu erobern. Und das sind auch nicht die ausgefuchstesten Spielgeräte, sondern es sind oft ganz einfache Dinge. Aber das auf der Straße zu machen und selbst plötzlich diesen Platz zu bekommen, der sonst immer Anderen gehört, das ist cool. Und auch, wenn Nachbarn vorbeikommen und sagen: „Ah, ihr macht wieder die Spielstraße!“ Das motiviert einen. Das rechtfertigt die Anstrengung. Auf manche Kommentare könnte man verzichten, darf man sich aber auch gar nicht zu sehr drauf einlassen.

I: Es ist super lustig und macht für uns Spaß auf der Straße zu sein. Man ist total auf den Moment konzentriert, weil es so eine besondere Situation ist. Und man kommt ins Gespräch mit Leuten, wir fühlen uns wie ein Teil der Nachbarschaft, auch wenn wir nicht dort leben. Weil man einfach in diesem permanenten Austausch ist, das ist etwas sehr Schönes.

M: Was total hilft ist, im Kiez sozusagen involvierte Komplizen zu haben. Das schweißt einen zusammen, man fühlt sich dann auch nicht alleine mit der Spielstraße, sondern man unterstützt sich gegenseitig. Das macht auch viel Energie, im positiven Sinne, und man fühlt sich ein Stück weit in dem Kiez zu Hause. Das hilft sehr, dass sich da auch Kooperationen zwischen den ohnehin aktiven Gruppen ergeben.

I: Eine Frage die uns beschäftigt, ist: Was ist besser für den Kiez? Ist die Spielstraße an sich schon die Botschaft? Wie können wir das Thema nachhaltige Mobilität obendrauf noch als Botschaft mitteilen?

M: Wir haben ja auch immer die Idee einer Podiumsdiskussion gehabt, damit wir dieses Thema „Nachhaltige Mobilität“ auch breiter mit dem Publikum vor Ort austauschen und besprechen können. Was schon aufgrund der Mehrsprachigkeit sehr schwierig ist. Wir hatten in der Biesentaler jemand vom VCD, die war dann ein bisschen verloren. Es gab alles an Aktivität, Spiel und Austausch, aber was wir subversiv versuchen mit dem Ideensammler zu sammeln, kann nicht plötzlich auf ein Podium gehoben und in eine Theorie eingestiegen werden. Wo ja alles über praktische Erfahrung läuft.

Mit der Bühne war es sonst total schön. Zum Beispiel als die Rapperin Kiki gespielt hat. Da waren Familien, die wir schon allein aufgrund der Sprache nie hätten abholen können, die haben plötzlich ihre Kinder auf die Bühne gehoben, um Fotos zu machen. Man hat dann gemerkt was passiert, wenn man sozusagen den Nerv der Leute trifft. Die haben dann schon gemerkt, wie sich eine Straße, wie sich ein Ort verändern kann. Das war plötzlich etwas, das sehr gut funktioniert hat. Aber wie man dieses Thema dann weiter vertiefend in die Nachbarschaft bringt, müssen wir noch weiter überlegen.

Wir hatten auch einen superschönen Moment, als ein Mädchen mit ihren Freundinnen vor uns stand und meinte: „Ich hab heute hier Fahrradfahren gelernt“. Also das sind ganz kleine Momente, aber das ist sozusagen ein Funke – und wenn der überspringt, ist es natürlich großartig. Es ist auf jeden Fall etwas Sichtbares passiert, was man subversiv gut mit dem Thema Nachhaltigkeit und Mobilität verknüpfen kann.

Was sind eure Pläne für die kommende Saison, was nehmt ihr mit ins neue Jahr?

I: Gedacht war ursprünglich, bevor wir dieses Jahr gemacht haben, dass wir das zweite Jahr wirklich ins Rollen gehen und draußen an den Spielstraßen das ganze Jahr Seifenkisten bauen. Wir müssen jetzt aber erstmal schauen, ob das eine gute Strategie ist, ob die Leute sich drauf einlassen, mitzubauen. Das ist etwas, wo wir uns Gedanken machen müssen, ob das eine gute Strategie ist - weil es sehr spezifisch und sehr „bauintensiv“ ist.

Was wir uns daher für kommendes Jahr überlegen müssen ist, ob wir - wie jetzt - viel Programm machen, damit Leute noch mehr davon mitkriegen und mehr teilnehmen. Oder ob wir immer weniger machen, damit es den Nachbarn mehr Platz lässt, ihre eigenen Sachen zu machen. Die Wirkung ist natürlich anders. Es ist dann realistischer, wenn es ein Selbstläufer sein soll – vielleicht hat es dann mehr Zukunft. Bisher sind wir so damit umgegangen, dass wir erstmal eine Sichtbarkeit erzeugen wollten, damit klar ist: Hier passiert was, hier ist etwas Neues, und nicht nur eine gesperrte Straße. Das ist die Überlegung, in welche Richtung es gehen sollte.

M: Etwas, was für die Zukunft extrem wichtig ist: Jetzt haben wir noch ein Jahr, wo wir mit im Boot sind. Rollt es dann aus? Bleibt das ganze Projekt dann stehen? Oder schiebt es jemand anderes wieder an und bringt es weiter ins Rollen?

Was wir gemerkt haben ist, dass wir schon eine Vernetzung haben, beispielsweise mit dem Theater 28, mit dem ElisaBeet, mit Kompass. Es gab Akteure, Vereine, die sich total gut angedockt haben an die Spielstraßen und die gekommen sind. Aber es braucht jemand, der diese Straße in eine Spielstraße verwandelt. Und da haben wir keine Akteure. Wenn wir weg sind, wer kann dann diese Struktur liefern? Wie können wir Leute mit reinholen, die diesen Prozess von Anfang an mitmachen? Es muss sehr unkompliziert sein und innerhalb einer großen Struktur organisiert sein.

I: Ich weiß auch nicht, ob eine temporäre Spielstraße zu einer festen Fußgängerzone hinauslaufen soll. Das ist natürlich schön, aber diese Temporalität, dieser temporäre Charakter, was auch das Herz unserer Arbeit ist, das macht alles so anders. Wenn es so fest und institutionell ist, ich weiß nicht, ob es so viel Spaß machen würde. Aber so, dieser Eroberungseffekt, dieses „Wow, Wir dürfen hier sein, wir sind mitten auf der Straße und das ist jetzt unsere“ – das macht Spaß. Ich bin voll für das Temporäre, das dann ein Mal im Monat oder in der Woche stattfindet. Die Temporalität ist erstmal ein guter erster Schritt, sie lässt Platz für unterschiedliche Meinungen und Bedürfnisse.

Für uns war es eine sehr positive Saison, wir haben total viel gelernt. Aber wir wissen noch nicht, wie es sich genau entwickeln wird und sollte. Wir freuen uns sehr, dass wir noch ein Jahr dran sind, dass wir Dinge verbessern oder neue Sachen probieren können.